RieglerRiewe Architekten aus Graz gewannen 2018 den Architekturwettbewerb für die Überbauung von Techno 10-15 und das im Norden anschließende Kopfgebäude. Seit der Gründung ihres Architekturbüros 1987 konnten sie über 30 Wettbewerbe für sich entscheiden und weitere zahlreiche Top-Platzierungen erzielen. Im Interview spricht Architekt und Universitätsprofessor Florian Riegler u.a. über den Wettbewerb, das Projekt und die Herausforderung bei der Nachverdichtung von Städten. [27.01.2021]
Realisierungen von RieglerRiewe werden mit Architekturpreisen ausgezeichnet und erhalten internationale Aufmerksamkeit. Was zeichnet Ihre Projekte aus?
Florian Riegler: Vielleicht liegt es daran, dass wir uns immer ein gutes Leben in unseren Gebäuden wünschen, in denen nicht in allen Bereichen nur das minimal Erforderliche vorgesehen ist. Im Gegenteil, wir sind darauf aus, dem Nutzer viele Optionen gleichzeitig anzubieten. Das beginnt schon bei der Erschließung. Eine größtmögliche Zirkulation sollte ermöglicht werden. Des Weiteren versuchen wir, viele Bereiche in Bezug auf die vorgegebenen Funktionen doppelt oder mehrfach zu belegen. Der Nutzer soll die Wahl haben. Dafür braucht es Raumkonfigurationen und Konstruktionen, die nicht aufdringlich sind, einen sozusagen in Ruhe lassen, was wiederum nicht bedeutet, dass die Sinnlichkeit in der Wahrnehmung nicht gefordert wäre, zum Beispiel in der Form von eng neben weit, glatt neben rau, steril neben üppig.
Die Vorgabe für Techno Top und Techno Head war, das denkmalschutzwürdige Gebäude von Michael Loudon nicht zu gefährden. Sie haben die Ausschreibung für den Überbau und das neue Kopfgebäude gewonnen. Was ist für Sie das Besondere an diesem Projekt?
Florian Riegler: In dem Bestandsgebäude von Mike Loudon ist eine gewisse Verwandtschaft zu unseren Projekten aus dieser Zeit eingeschrieben. Deshalb hat uns das Thema einer möglichen Erweiterbarkeit sehr interessiert. Die vielen Optionen in der Zirkulation durch die Geschoße, sowohl horizontal als auch vertikal. Die Orientierung der Arbeitsplätze über den Hof hinweg zueinander. Die einfachen Materialien, die zum Einsatz gekommen sind. Sie sind schön gealtert. Durch unser selbstverständliches Weiterbauen nach oben und Anfügen im Norden mit dem Techno Head werden die Gesetzmäßigkeiten des Bestandes nicht aufgehoben oder isoliert, sondern fortgesetzt.
Wie ist die Techno-Z-Erweiterung als Bauprojekt einzuordnen? Kommt es oft vor, eine Gewerbeimmobilie auf dieser Fläche in Holzleichtbauweise aufzustocken?
Florian Riegler: Abgesehen davon, dass man mit der Holzbauweise eine nachhaltige Bauweise unter Berücksichtigung der Verwendung von nachwachsenden Baustoffen zum Einsatz bringt, wurde unsere Entscheidung auch sehr pragmatisch getroffen. Es erscheint uns jedenfalls der Einsatz einer Leichtbauweise als Aufstockung zielführender als eine massive Konstruktion mit Schalung und Ortbeton zu sein.
Wird die Aufstockung in Holzleichtbau als Modell für die Nachverdichtung von Flächen in Städten dienen können?
Florian Riegler: Für die Nachverdichtung von innerstädtischer Baustruktur, soweit es sich um eine reine Aufstockung handelt, ist es durchaus denkbar, dass sich diese Entwicklung durchsetzen wird. Aber Nachverdichtung heißt natürlich nicht nur Erweiterung in vertikaler Extension, womit alle sonstigen Bauweisen und Materialien im städtischen Kontext ihre Bedeutung behalten werden.
Was sind die architektonisch entscheidenden Punkte bei der Erweiterung in Bezug auf den Bestand?
Florian Riegler: Grundsätzlich unumgänglich ist bei allen Fragen des „Weiterbauens“ die Kenntnis und das Verständnis für den Bestand. D.h. der wesentliche Charakter und der Ausdruck des Bestehenden müssen die Ausgangsüberlegungen für den Eingriff darstellen. Der Eingriff bzw. das Weiterbauen muss damit nicht automatisch auf Harmonisierung hinauslaufen. Mitunter ist Konfrontation und Kontrast sowohl für den Bestand als auch das Neue die bessere Herangehensweise. Das zeigen uns viele historische Beispiele.
Sie lehren an der Universität Berlin, Sie sind Mitglied in Gestaltungsbeiräten und Vergabejurys. Welche Zukunftstrends zeichnen sich im Bereich Urban Design ab?
Florian Riegler: Man fragt sich, warum Stadtplanung heute Urban Design heißen soll? Es soll damit wohl zum Ausdruck gebracht werden, dass es notwendigerweise einen Wandel des Städtebaus, weg von der rein wissenschaftlich technischen Stadtplanung, hin zu einer architektonisch gestalterischen Stadtplanung gegeben hat. Mit den aufkommenden postmodernen Strömungen in den 1980iger Jahren hat man das propagiert. Ganze Stadtteile wurden nach baukünstlerischen Kriterien - separiert vom Rest der Stadt - entworfen und gebaut und ganze Städte bis nach China exportiert. Heute, wo die Städte unverhältnismäßig stark wachsen, können und wollen wir uns das in dieser Form nicht mehr leisten. Wir schauen vielmehr auf das tatsächliche Erbe, das wir im Gesamten fragmentarisch vorfinden. Wir stellen dabei fest, dass unsere Städte immer noch zu einem Großteil von Separierung der Lebensbereiche ganz im Sinn des Funktionalismus geprägt sind. Am deutlichsten wird es in den peripheren Zonen der Vorstädte. Jedes Objekt ist für sich, hat keinen Bezug zu den Nachbarn. Das gilt auch für die Wohnhäuser. Das Dazwischen ist ohne Bedeutung und ohne Leben. Die Aufwertung der dazwischenliegenden Bereiche steht heute im Fokus der planerischen Betrachtung, um öffentliche Räume zu schaffen und auch als kollektiven Raum zu begreifen. Das heißt, wir werden in der Nachverdichtung der Städte alles unternehmen müssen, um - aus der Objektnutzung heraus - die Zwischenräume mit Leben zu füllen.
Welche Trends gibt es im Bereich Workplace?
Florian Riegler: Mit der Digitalisierung der Arbeitsplätze sind wir pro Arbeitsplatz effizienter und leistungsfähiger geworden, nehmen immer weniger Raum in Anspruch, aber wir arbeiten auch kontrollierter. Gleichzeitig wird dem Einzelnen mehr Freiheit und ein höherer Wohlfühlfaktor suggeriert und dabei auch mehr Verantwortung auferlegt. Informelle Austauschzonen werden gefordert, um die Kommunikation weiterhin aufrecht zu erhalten, von der man fürchtet, dass sie ansonsten verschwindet. Die Architekten bemühen sich, auf all die widersprüchlichen Anforderungen Antworten zu finden. Für den Erfolg wird entscheidend sein, dass man die Arbeitswelten nicht zu isoliert versteht. Vielmehr werden die Standortfragen, die Nachbarschaften, die Erreichbarkeit und eben das städtische Umfeld von Bedeutung sein.
Stichwort Digitalisierung: digitalisierte Bauprozesse, smarte Gebäude und Digital Twin. Inwieweit hat die Digitalisierung Ihre Arbeit in den letzten Jahren verändert? Gibt es eine Grenze der Digitalisierung?
Florian Riegler: Meine Generation hat die Digitalisierung in der Arbeitsweise abrupt und hart getroffen. Unser erstes Großprojekt - der Flughafen Graz - wurde Ende der 1980iger Jahre noch zur Gänze analog bearbeitet. Danach wurde viel in die Digitalisierung investiert, auch viel Entwicklungsarbeit geleistet. Die Programmierer wussten ja nicht, was die Architekten brauchen würden. Das war ein einziges Experimentieren. Am Ende dürfen wir die eigene Arbeit teuer bezahlen. Die Systeme entwickeln sich anscheinend in ungeahnte Sphären weiter und so wie es aussieht „alternativlos“. Die Suche nach der verlorengegangenen, persönlichen Handschrift in der Darstellung ist zum großen Thema geworden.
2023 wird ein großes Projekt von RieglerRiewe, der Universitätscampus der Medizinischen Fakultät in Graz, fertiggestellt sein. Welche Rolle spielt Ihrer Meinung der Begriff Schönheit in der zeitgenössischen Architektur im Spannungsfeld von Nützlichkeit und Wirtschaftlichkeit?
Florian Riegler: Der Gebäudekomplex für die Medizinische Universität Graz ist tatsächlich eines der größten Bauprojekte dieser Jahre in Österreich. Jetzt, wo es in aufeinanderfolgenden Abschnitten bis 2023 fertiggestellt sein wird, ist ein erster Teil bereits erfolgreich in Betrieb. Viele unserer langverfolgten Ziele konnten auch hier umgesetzt werden. Seit unserer Tätigkeit als Büro RieglerRiewe haben wir uns mit einfachen Strukturen in Bezug auf eine neu verstandene Flexibilität beschäftigt. Noch in den 1970iger Jahren ist man bei Flexibilität von einem möglichst großen Spektrum technischer Raffinessen in den Umbaumöglichkeiten ausgegangen. Wir haben die Antwort auf größtmögliche Flexibilität in der Einfachheit der Struktur gesucht. Die Kombinierbarkeit von nebeneinanderliegenden Raumeinheiten, die unkomplizierte Zuschaltbarkeit und auch der Entfall von Raumeinheiten ohne nachteilige Auswirkungen für das Gesamte, machen die Qualität der Gebäude aus. Insbesondere in der Phase der Planung und Umsetzung, die bei Großprojekten bald auch zehn Jahre in Anspruch nehmen kann, ist diese neue Flexibilität von enormer Bedeutung. Und so werden Sie die einfachen, häufig zweiseitig belichteten und nebeneinander gereihten Raumsequenzen in den Bürotrakten des Flughafens in Graz und auch im Unikomplex für die Informationstechnischen Institute der TU Graz als Vorläufer der Struktur für den MedCampus finden können.
Im Zusammenhang mit derart stringenten Konzepten stellt sich selbstverständlich auch die Frage nach der „Schönheit“. Schönheit definiert sich hierbei über die räumlichen Qualitäten, die sich durch die Schichtung der Bauteile in unterschiedlichen Abständen und Längen untereinander im Außenraum ergibt, aber auch über die komplexe Wahrnehmung der Innenräume im Zusammenspiel mit den unterschiedlichen Außenräumen. Die Fassaden in ihrer differenzierten Gleichförmigkeit sind für die angenehme Wirkung der Großform aus der Ferne von Bedeutung.
Ohne finanzielle, räumliche, rechtliche Limits und Vorgaben. Was würden Sie als nächstes bauen wollen?
Florian Riegler: Gerne würde ich unter diesen Voraussetzungen ein Wohnhaus unter dem Thema des gemeinschaftlichen Wohnens projektieren. Es wäre wie ein Möbelhaus, wo man in einer Wohnung mehrere Küchen, mehrere Tische, mehrere Wohnzimmer, mehrere Schlafzimmer, mehrere Bäder, mehrere Leerstellen und viele Terrassen und Balkone vorfinden würde. Lediglich die Schlafzimmer wären groß und den Personen zugeordnet. Alle anderen Räume müssten jeweils verhandelt werden und könnten auch mehrfach belegt sein. Wir haben als Architekturbüro so viel gemacht, aber wenige Wohnhäuser. Ich beschäftige mich schon sehr lange damit. Man muss im Wohnungsbau ein größeres Spektrum an Bedürfnissen abdecken.
Wo würden Sie aus architektonischer Sicht gerne leben und aus welchem Grund?
Florian Riegler: Ich liebe große mehrgeschoßige Häuser, die ohne zentrales Treppenhaus auskommen, wo alle Räume mit mehr als einer Tür versehen sind. Die Epoche wäre mir egal. Ob es aus DDR-Zeiten wäre, oder von Dominioni geplant ist, oder ob es die Villa Madama von Raffael oder das Haus von Guisseppe Tomasi di Lampedusa sein sollte, spielt keine Rolle.
Vielen Dank für das Gespräch!